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Länderschau IV

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Tour de France 2016 

PrologPro

Am Anfang war ein Raub. Ein Coup.
Waren Gewalt und Täuschung.
(Zivilisation beginnt mit Chaos. Immer)
Zeus raubt Europa. Königstochter aus Phönizien,
jenseits des Mittelmeers in Vorderasien gelegen.
Sie spielte dort am Strand, nichtsahnend, als ein weißer Stier
dem Meer entstieg. Schön soll er gewesen sein, nicht wild,
mit Blumen um die Hörner.
Europa
(ihr Name soll besagen: die mit der weiten Sicht)
vertraute ihm.
(Das war ein folgenschwerer Fehler.
Nicht besonders weitsichtig)
Er entführte sie,
nach Kreta, weit über das Meer hinweg.          

Auf späteren Gemälden plätschern die Wellen friedlich,
Delphine umspielen das Paar, der Stier hat Kuhaugen
und lächelt selig. Europa auch. Zünftig im Damensitz.   

Was danach geschah, ist unklar. Ovid
spricht von ‚Verwandlung‘, vielleicht war es doch eher
Vergewaltigung?
(Einvernehmlich oder nicht, wer kann das schon wissen?
Sexualität kann man nicht zähmen,
noch nicht einmal mit Zivilisation. 
Nur eindämmen)   

Und so bekam Europa seinen (ihren!) Namen.

 Besuchen Sie Europa, solange es noch steht!


 

Auf Empfang   

Finistere: Am Ende der Welt

erstreckt sich ein Farbenmeer.
Nicht nur blau, türkis, smaragd, meerfarben,
auch heideviolett, Schatten von Grün, granitnes Grau,
wogende Maisfelder, gezackte Farnenmeere.
Vom Wind gebeutelt duckt sich das Kirchlein, allein
der Heilige auf seiner Säule hält dem Wind stand
und wankt nicht.     

Leuchttürme. 

Neben der Radarstation mit ihren Schüsseln
Streckt ein versteinerter Schiffbrüchiger
verzweifelt seinen Arm empor:
Zur Madonna. Sie wird ihn erhören.
(Der Handyempfang funktioniert jedenfalls.
Ein gutes Zeichen)    

Die Möwen machen Show. Die Mädchen auch.
(Posing nennt man das heute.
Die Möwen sind Naturtalente)
In Flipflops kommen die Pilger nun
und bauen kleine Pyramiden vor der großen Weite:
Steinmandl. Das heißt:
Ich hab mein Steinlein beigetragen!
Ich baue an der Geschichte mit!
Ich war am Ende der Welt dabei!
(ein kleines Carnac, aus sehr kleinen Steinen.
Man opfert nicht mehr so viel heutzutage)       

Zu sehen gibt es: 
Nichts.
Die Ferne.
Meer und Himmel.
Ende der Welt.
Mit Phantasie: Amerika.
Ein wenig weiter nur war: Utah Beach.
(Zivilisation ist sehr verletzlich)   

Besuchen Sie Europa, solange es noch geht!

 


Abgeschrieben 

Das Meer kommt und geht. 
Was aber bleibt,
ist dieser Stein,
sind Steine über Steine,
bis beinahe an den Himmel,
ein goldglänzender Engel oben auf der Spitze tanzend:    

Mont St. Michel.
Ein Dom auf einem Berg.
Ein Kloster,
eine Bibliothek,
(natürlich auch: Gefängnis, später)
wo einmal Mönche saßen, tief gebeugt, und abschrieben,
sehr sorgsam, blau und gold und rot,
einfach nur abschrieben, sie selbst nicht mehr
als eine Feder, die verbraucht wird,
damit die Texte überleben.
(wer zählt die Namen: Aristoteles. Cicero. Hippokrates,
wer ist vergessen, weil ihn niemand abschrieb?),       

Doch wo die Pilger strömten, sahen, staunten,
nach langer Wanderung, erschöpft und staubig -
(ohne Navi. Sie folgten Gott)
da ist nun Rummel. Jeden Tag.
Millionen wollen den Berg sehen
(nicht aber Manuskripte lesen).
Wenn jeder nur einen einzigen Text
sorgsam abschriebe,
Wort für Wort,
ohne Zutat,
demütig und langsam, vielleicht
würde er ihn verstehen.
Und weitertragen können.
(Zivilisation ist lebendige Überlieferung)        

Besuchen Sie Europa, solange es noch steht!

     

 

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